Leselevel: ♦♦♦♦◊
Wissenssteigerung: ♦♦♦◊◊
Humor: ♦♦♦◊◊
Spannung: ♦♦♦♦♦
Gefühl: ♦♦♦♦♦
Elternvergnügen: ♦♦♦♦♦
Zielgruppe: ab 13 Jahren
240 Seiten, gebundene Ausgabe um € 15
Themen: Familie, Freundschaft, erste Liebe, Stadtleben
Steven Herricks Ich weiß, heute Nacht werde ich träumen, großartig übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn, hat 2019 den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis gewonnen. Es drängt sich die Frage auf, warum. Ist es besonders katholisch*? Nein. Ist es besonders gut? Oh, ja!!
Dieses unglaublich faszinierende Jugendbuch kombiniert die Gattungen Roman und Gedicht auf einzigartige Weise (und hier kommt der deutsche Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn wieder ins Spiel, denn ohne ihn hätte dieses Buch bestimmt keinen Buchpreis gewonnen!). Die Erzählung besteht aus gedichtartigen Szenen, die den LerserInnen bewegende Einblicke ins Leben des Jugendlichen Harry Hodby gewähren. Er lebt zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Keith in einer australischen Stadt, ist in Linda verliebt und schlägt sich in der ärmlichen Nachbarschaft und der Schule durch.
Das Buch beginnt mit dem Gedicht „Die Farbe meiner Stadt“, das meiner Meinung nach dem Prolog in Shakespeares _Romeo und Julia_ hinsichtlich Vorausschau und Schönheit absolut ebenbürtig ist. (Wenn ihr mir nicht glaubt, lest bitte beides nach und nickt dann zustimmend!) Ich darf mal die letzten Zeilen dieses Gedichts zitieren, damit Ihr Euch selbst eine Vorstellung von diesem feinen Werk machen könnt:
Aus „Die Farbe meiner Stadt“:
„Braun
war den ganzen Sommer über das Gras,
eine tote Schlange,
platt gefahrene Riesenkröten
und unser mit Öl beschmiertes Haus;
nichts, was lebt,
nichts, was leuchtet.
Weiß
war Mums Nachthemd,
die Kreide, die Miss Carter benutzte,
um meinen Namen zu schreiben,
Krankenhauslaken
und die Farbe von Lindas Kreuz.“
(Ich weiß, heute Nacht werde ich träumen, Seite 6-7)
Nun entfaltet sich vor unseren Augen Szene für Szene und Gedicht für Gedicht das Leben dieses scharfen Beobachters, der das Schöne auch im Hässlichen entdeckt und mit seiner anständigen Art gegen die Windmühlen seines Milieus kämpft, etwa wenn er die Lehrerin unschuldig fragt: „Warum haben Sie eigentlich / niemals geheiratet, / Miss Carter?“ (42), als sie seine Freundin Linda schikaniert und bezichtigt, sie träume davon, mit einem Jungen durchzubrennen.
Was Harry alles erlebt, ist schwer übersichtlich wiederzugeben: Menschen sterben, verletzten sich, ein Mädchen wird geschwängert, ein Haus geht in Flammen auf. Es ist das packende Leben eines normalen Jungen, den die Achterbahn des Lebens herumreißt, bis:
„Ich schließe das Tor,
gehe die Treppe hinauf,
setze mich
auf die oberste Stufe
und warte auf Dad
und auf Keith,
dass sie
nach Hause kommen
in der perfekten Stille
des Nachmittags.“ (238-239)
Großes Kino für feinfühlige Jugendliche und Erwachsene!
Das Buch wurde übrigens auch mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2019 ausgezeichnet und es wurde Jugendbuch des Monats Juni 2018 der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V..
*Gott wird im Buch zweimal erwähnt: Einmal nach einem schrecklichen Unfall des Vaters, einmal im Gedicht „Es war nicht Gott“, in dem sich Harry fragt, wo Gott war, als all die schrecklichen Dinge in seinem Leben passierten.
Heute habe ich zwar nicht für ein Rezensionsexemplar zu danken (selbstgekauft, grins), aber trotzdem danke ich dem Thienemann-Esslinger-Verlag, der so großartige Bücher ins Deutsche übersetzen lässt und herausbringt, damit auch die deutschsprachige LeserInnenschaft so etwas Schönes lesen kann!
Steven Herrick. Ich weiß, heute Nacht werde ich träumen. Stuttgart: Thienemann Esslinger Verlag, 2018. Genial aus dem australischen Englisch übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Originaltitel: By the River.