Shaun Tan: Zikade

Leselevel: ♦♦◊◊◊
Wissenssteigerung: ♦♦♦♦♦
Humor: ♦♦◊◊◊
Spannung: ♦♦♦♦♦
Gefühl: ♦♦♦♦♦
Elternvergnügen: ♦♦♦♦♦

Zielgruppe: Erwachsene und Teenager ab 12 Jahren

32 Seiten, gebundene Ausgabe um € 17

Themen: Büroarbeit, moderne Arbeitswelt, Gefühlskälte, Mobbing, Migranten, Migration, Zugehörigkeit, Demütigung

Der berühmte australische Illustrator, Autor und Oscar-prämierte Filmemacher Shaun Tan beschäftigt sich in seinem neuen Bilderbuch Zikade erneut mit Zugehörigkeit und Migration. Seine ergreifende Graphic Novel Ein neues Land ist vielen von Euch sicher ein Begriff.

Zikade ist ein bildgewaltiges Meisterwerk rund um den eingewanderten Büroangestellten Zikade, der trotz fleißigen Bemühens und korrekter Arbeit stets gedemütigt wird. Ein letzter Mobbingakt bei Rentenantritt treibt ihn auf das Dach des Bürohochhauses; er blickt in den Abgrund. Gebannt blättert man um und rechnet mit dem Schlimmsten, doch die steingraue Hülle der Zikade spaltet sich und eine orange-rote Zikade fliegt gen Himmel: „Alle Zikaden fliegen zurück in den Wald. Denken manchmal an die Menschen. Müssen dann lachen. Tack Tack Tack!“

Eike Schönfeld hat dieses Bilderbuch grandios übersetzt. Sein großer Verdienst liegt darin, die Geschichte in einfacher und dennoch poetischer Sprache auszudrücken, und zwar nicht auf Hochdeutsch, sondern in gebrochenem „Migrantendeutsch“, das nur allzu leicht in vorurteilsgeladene, dem Lächerlichen preisgegebene Sprache hätte abdriften können.

Dass Shaun Tan ursprünglich aus der Science-Fiction-Ecke kommt, merkt man seinem dystopischen Bilderbuch durchaus an. Die Illustrationen in _Zikade_ lassen einen an Gregor Samsa (aus Franz Kafkas „Die Verwandlung“) und „Bartleby der Schreiber“ (von Herman Melville) denken. Auch Zikade ist verzweifelt, fühlte sich fremd inmitten der anderen Büromenschen, ausgeschlossen. Die erbarmungslose Gefühlskälte der Bürowelt wird durch das dominante Grau der Bilder betont. Steingraue Mauern allerorten, bis sich die feurige Zikade von ihrer grauen Hülle löst und losfliegt, zusammen mit unzähligen anderen Zikaden, in den grün-orangen, paradiesischen Wald. Shaun Tan hat sich übrigens für diese Bilder eine Skulptur mit beweglichen Gliedern gebaut, die er dann bewegte und fotografierte. Erst danach begann er mit dem Malen, wie der Guardian hier berichtet.

Dieses Bilderbuch liest sich wie ein Gedicht, und am Ende des Buches wird auch ein Gedicht von Matsuo Bashō zitiert: „Stille… / das Sirren der Zikaden sickert ein / in den Fels“. Im Buch wird der umgekehrte Prozess beschrieben: Die Zikade löst sich aus der felsgrauen Stille des Bürokomplexes und fliegt surrend zurück in den Wald. Ein faszinierendes, beeindruckendes und bewegendes Werk!

Shaun Tan wurde 1974 im australischen Fremantle geboren. Seine Familie stammt aus Malaysia. Er ist Illustrator und Schriftsteller, arbeitete unter anderem mit an den Trickfilmen Horton hört ein Hu! und WALL E – Der Letzte räumt die Erde auf (beide 2008). 2009 erhielt er für seine Graphic Novel Ein neues Land den Deutschen Jugendliteraturpreis, 2010 für seinen Kurzfilm Die Fundsache den Oscar, 2011 zeichnete man ihn mit dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis aus. Die Liste seiner Auszeichnungen scheint endlos.

Ich danke dem Aladin Verlag und Henrike Blum sehr herzlich für das Rezensionsexemplar!

Shaun Tan: Zikade. Stuttgart: Aladin im Thienemann-Esslinger Verlag, 2019. Übersetzt von Eike Schönfeld.

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